27 Jahre Sprachaustausch – ein persönlicher Erfahrungsbericht eines Französischlehrers
Foto Lagerhäuser Aarburg
Der erste Tag im gemeinsamen Klassenlager. Es läuft immer ähnlich ab. Meine Klasse steht am Bahnhof, die Brieffreunde aus dem Wallis sollen bald eintreffen. Die Spannung steigt, die Unsicherheit ist gross. Wie wird es sein? Wie sind sie? Kann ich sprechen? Da fährt der Zug ein, sie steigen aus. Die Anspannung ist spürbar. Bald stehen sich zwei Klassen in Blöcken gegenüber. Da geht ein Kind hin und sagt «Bonjour» – und das Eis ist gebrochen!
Solche Momente sind es, die mich an Sprachaustausch-Projekten immer wieder begeistern. Wir befinden uns nicht in einer Komfortzone. Es ist einfach unglaublich, was Kinder leisten, wenn man ihnen die Möglichkeit bietet.
Wie alles begann
1994 startete ich mit dem Französischunterricht. Es war mir immer klar, dass ich unbedingt etwas in der Westschweiz machen wollte. Die Schule in Le Locle (NE) bot Unterstützung, eine Partnerin war schnell gefunden, ein Lager am Wohnort der Partner organisiert. Meine Partnerklasse war allerdings eine 1. Oberstufe, einzelne Knaben der Klasse grösser als ich, die Lehrerin sehr zurückhaltend … und der Austausch schlug ein wie eine Bombe. Die Westschweizer Klasse war unglaublich cool und hat dann auch gleich einen Gegenbesuch in der Deutschschweiz organisiert. So etwas wollte ich wieder erleben und auch den späteren Klassen ermöglichen.
Wie fand ich 1999 eine Partnerklasse? Meine Frau hat im Einkaufszentrum Glatt eine Ausstellung zur Region Salvan (VS) gesehen und so suchte ich in dieser Gegend. Wie? Ich habe einfach ins Lehrerzimmer der Schule Salvan telefoniert und schaffte es irgendwie, mit dem Lehrer am Apparat einen Austausch aufzugleisen.
Eine gute Planung ist wichtig, das Team auch
In Salvan hatte und habe ich Lehrpersonen, die engagiert mitarbeiten. Ich freue mich immer, wenn wir für die 6. Klasse etwas Gemeinsames planen. Planung? Meine junge Kollegin aus Salvan und ich haben uns 2020 in Salvan mit ehemaligen Leitern der früheren Lager zu einem dreistündigen Apéro riche getroffen. Bei dieser Gelegenheit haben wir innert einer Viertelstunde zwei Austauschprojekte kurz vorbesprochen und fixiert. Ein gutes Team ist einfach Gold wert!
In einem Lager kam der der Finanzvorsteher meiner Schulgemeinde zu Besuch, weil er sich für den Sprachaustausch interessierte. Um 10 Uhr hatten wir ein Theater angekündigt, um 09:45 fanden wir endlich Zeit, den Inhalt zu füllen. Die unter Zeitdruck entstandene Idee, die Kinder ein Theater einüben zu lassen, wo 4-5 vorgegebene Wörter vorkommen mussten, haben wir in späteren Lagern beibehalten, denn das ist ein sehr guter Sprechanlass. Zum Beispiel 2022: la gourde, un écureil, Käse, Bärengraben.
Zweisprachige Lagerwochen
Übers Jahr werden Briefe geschrieben, Filme gedreht, gezeichnet und mittlerweile gibt es auch Kontakte per Teams. Am besten gefallen mir die beiden Lager, weil die Kinder miteinander sind: Das gemeinsame Klassenlager Ende Mai und das Lager am Wohnort der Salvanins. Im Lager läuft fast alles zweisprachig. Die Kinder arbeiten häufig in Ateliers. Sie sind selbständig zweisprachig unterwegs und wir achten darauf, dass die Gruppen nicht grösser als 4-6 Personen sind. Wir helfen nur wo nötig, die Kinder machen sehr Vieles ohne unsere Hilfe. Ich freue mich, wenn sie munter drauflosreden, Google-Übersetzer empfinden auch die Kinder zum Glück als zu schwerfällig.
Wenn dann eine Gruppe in einem Atelier ein zweisprachiges «Herzblatt» vorbereitet und am Abend durchführt, ist das toll. Und auch nach vielen Jahren gibt es Überraschungen: Eine Gruppe hat 2023 ein Krimi-Dinner vorbereitet. Natürlich zweisprachig, sehr selbständig organisiert und es war ein voller Erfolg. Einige Knaben wollten vor allem Fussball spielen. Dass sie dann ihr Spiel gefilmt und in der anderen Sprache kommentiert haben, war das Sahnehäubchen. Ein Junge gestand mir: «Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal freiwillig Französisch spreche.» Ein Mädchen meinte: «Sie haben immer gesagt, dass Sprachaustausch toll ist. Aber dass es so toll ist, hätte ich nicht gedacht.»
Einbindung von Jungleiter/-innen
Wir nehmen auch Jungleiter/-innen mit. Das sind Oberstufenschüler/-innen, idealerweise aus der West- und der Deutschschweiz. 2023 hatten wir 52 Kinder und waren nur 4 Lehrpersonen, deshalb waren wir sehr froh um die zusätzliche Unterstützung. Diese haben viel übernommen, waren gut ins Leitungsteam integriert und haben den Sprachaustausch auch unter sich gelebt. Schön, wie sich diese jungen Menschen zwischen 14 und 17 Jahren mit Freude aufs Abenteuer Sprachaustausch eingelassen haben. Es freut mich auch, dass die Ehemaligen jeweils gerne als Jungleitende mit in den Austausch kommen.
Tagebuch und Elternabend
Während des Lagers mussten die Kinder Tagebuch führen. In jedem Tagesbericht sollten mindestens zwei Sätze auf Französisch sein. Nicht mit Google, sondern mit den Freund/-innen aus dem Wallis. Die meisten Tagebücher sind sehr schön geworden, die Sätze auf Französisch gut integriert. Allgemein freut es mich, dass die Kinder sich auf das Abenteuer einlassen und jedes Sprachspiel gerne mitmachen.
Im zweiten Lager gibt es jeweils einen Elternabend. Die Kinder reden automatisch in der Fremdsprache, informieren die Eltern über das gemeinsame Lager im Monat zuvor. Etwas überrascht war ich dann allerdings schon, als einige meiner Schüler/-innen diesen Elternabend als Höhepunkt empfanden.
Das Salz in der Suppe
Natürlich ist Sprachaustausch nicht immer nur lustig und vor allem die Abrechnung gibt zu tun. Die Fülle der schönen Erlebnisse wiegt das aber bei Weitem auf. Ich möchte all diese tollen Kontakte mit der Westschweiz nicht missen. Die 6. Klasse mit dem Sprachaustausch war für mich immer das interessanteste Jahr der Mittelstufe, Sprachaustausch war bei mir in den 40 Jahren Unterricht das Salz in der Suppe. Für den Sprachaustausch habe ich Partner gesucht … und Freunde gefunden.
Lernen die Kinder in einem Sprachaustausch eigentlich viel Französisch? Sie lernen, mutiger zu sein, zu probieren, auch Fehler zuzulassen und vor allem: ihre Grundeinstellung zum Französisch ändert. Ich selber habe nicht nur viele schöne Erinnerungen, sondern spreche jeweils nach dem Lager auch wieder deutlich besser Französisch.
Video
Im Schuljahr 22/23 hatte ich neben dem Austausch mit Salvan ein kleineres Projekt mit meiner zweiten F-Klasse. Über Movetia match&move habe ich eine engagierte Deutsch-Lehrerin mit einer Klasse aus Prangins (VD) gefunden. Im November 22 waren wir zwei Tage in Bern, im Juni 23 haben wir die Kinder am Wohnort besucht. Anlässlich des Museumsbesuchs in Prangins war ein Filmteam von Movetia mit dabei. Der Film zeigt gut die Stimmung in einem Austauschprojekt.
Verfasser dieses Textes
Markus Bleiker, Fachspezialist Primarschule bei der Fachstelle Austausch und Moblität, hat eine langjährige Erfahrung als Primarlehrer in Eglisau. Seit der Einführung von Französisch auf der Primarstufe ist er aktiv mit Sprachaustausch-Projekten unterwegs.
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